__ entwendete fenster

 





 

PROGRAMM


UMS'nJIP
entwendete fenster

Liederzyklus
für Stimme, Blockflöten
und Live-Elektronik (Audio & Video), 2024
Text nach dem gleichnamigen Gedichtzyklus von Rolf Hermann
aus dem Gedichtband In der Nahaufnahme verwildern wir

Dauer: ca. 80m






IDEE


Eine musikalische Interpretation einer literarischen Anverwandlung Rilke ́scher Gedichte

entwendete fenster ist, nach im störgarten (2022) und neophyten (2023), der dritte Zyklus aus Rolf Hermanns Gedichtband In der Nahaufnahme verwildern wir (2021), den UMS'nJIP vertonen. Wie bereits die beiden vorangehenden Zyklen ist auch entwendete fenster abendfüllend angelegt.


In der Nahaufnahme verwildern wir


Ein rauschhaftes, urbanes Langgedicht, in dem die Ampeln sinnentleert blinken und die Zufallsbegegnung mit einem Tier die Hoffnung auf eine Verschmelzung von Mensch und Natur nährt. Ein Bildschirm, der glimmt, ein Fenster, das aufpoppt – und die Zeilen werden zu einem Eintrittsort, zu einer Schnittstelle zwischen Virtualität und unmittelbarer Erfahrung. Anderswo schleudern Neophyten ihre Samenkugeln durch die Luft und breiten sich rasend schnell aus: ein brasilianisches Tausendblatt, ein Götterbaum, ein Schmetterlingsstrauch. Und schliesslich ein Gang durch einen längst verschwundenen Obstgarten, in dem selbst die Luftpartikel träge geworden sind ob ihres uralten Gewichts. Ausgehend von vier Zyklen, die Rainer Maria Rilke am Ende seines Lebens im Château Muzot im Wallis auf Französisch geschrieben hat, zoomt Rolf Hermann mit seinen neuen Gedichten mitten hinein in unsere Lebenswelt mit ihren globalen Verflechtungen, ihren Hotspots und Flächenbränden, ihren Erschöpfungszuständen. Lustvoll und zärtlich, formbewusst und unverwechselbar im Ton.

Der gesunde Menschenversand, zitiert aus: https://www.viceversaliteratur.ch/book/22824


Im Gedichtband In der Nahaufnahme verwildern wir verbinet Rolf Hermann rhythmisch bewegliche Gedankenlyrik mit einem hermetischem Gestus. In den Jahren 1924-1926 dichtete Rainer Maria Rilke auf Schloss Muzot oberhalb von Sierre vier Gedichtzyklen, für die er sich eine fremde Sprache lieh: die französische. Diese «Quatrains Valaisans» besingen Natur und Landschaft, in der sich Rilke für seine letzten Lebensjahre niedergelassen hatte. Diese Landschaft kennt und liebt auch Rolf Hermann, der in Leuk unweit von Rilkes Domizil aufgewachsen ist. In seinem Gedichtband In der Nahaufnahme verwildern wir nimmt er diese topographische Nähe auf, indem er Rilkes Zyklen aus gegenwärtiger Optik überschreibt und variiert. Die weite Landschaft setzt den Rahmen. Im ersten Kapitel «im störgarten» hält sich das lyrische Ich an ein Rilke-Motto aus den Orpheus-Sonetten: «Zu dem raschen Wasser sprich: Ich bin.» Doch die Rhone hat sich längst verändert: sie ist begradigt, versiegelt, intensiviert, «ein immenses spiegelkabinett der rentabilität» und Abbild der ganzen Landschaft geworden. Das Ich wird es mit mulmigen Gefühlen gewahr. Immerhin die Vögel, «diese erben der engel / sie gehörten uns nie». Diesem ersten Kapitel antwortet – nicht minder finster – das letzte mit der Überschrift «eins»: ein staunender Gang aus dem Haus hinaus in den Tag und quer durch eine nebelverhangene Stadt, Biel, in Begleitung eines freundlichen Marders, der ihn in den steil aufragenden Wald, in die Verwilderung führt. Sich die wunden Augen reibend versucht das Ich die düstern Dinge klar zu sehen, die funktionalen Oberflächen aufzurauen. Die beiden Kapitel ähneln sich im lyrisch wendigen Parlando, im inneren Gedankenflug, mit dem das erschrockene Ich das (t)raumzeitliche Kontinuum durchquert und Verlust und Wandel festhält. Gibt es Rettung auf solchen «chemins qui ne mènent nulle part», oder wäre derlei blosse Schimäre? Im Zentrum des Bandes formieren sich, adäquat zu Rilke, zwei Kapitel, in denen dessen Motive aufgenommen und vergegenwärtigt werden. In «entwendete fenster» leuchten die Zeilen blass-bläulich im Schimmer des Monitors, der das Fenster in die Welt ist: «take-off / ins unsichtbar periphere». Unvermittelt umschliesst der Rahmen eine Wirklichkeit, in der das Ich zum enormen «waren-ich» als «botenstoff im angebot» mutiert. In kurzen Zwei- bis Vierzeilern variiert Rolf Hermann, wie Rilkes Zyklus «Les fenêtres» ent- und umgewendet wird, wie die Erinnerung verblasst, eine neue Welt im Dämmer des Monitors sichtbar wird. Sprachlich am wildesten, geradezu vegetativ berauschend, fällt das Kapitel «neophyten» aus, mit dem Hermann auf Rilkes «Les Roses» antwortet. Neophyten wie das «drüsige springkraut» oder «der kirschlorbeer» mögen nicht so geschmäcklerisch schön wirken wie eine Zuchtrose, dafür zeichnen sie sich durch Vitalität und Zähheit aus. Die Sprache lässt sich von dieser Vitalität anstecken und beginnt zu verwildern, sie samt Silben ab und formt sie zu neuen Worten, findet sich zu Bildern, die neophyt und ungewohnt, vital und frisch sind. Die Nahaufnahme, der konzentrierte Blick stellt auf die glatte Oberfläche scharf und nimmt so erst deren raue Struktur wahr.

Beat Mazenauer, zitiert aus: https://www.viceversaliteratur.ch/book/22824


Rolf Hermann liess sich von den Gedichtzyklen Rainer Maria Rilkes beeinflussen, die dieser im Wallis in seinen letzten Lebens- und Schaffensjahren von 1924 bis 1926 in französischer Sprache schrieb. Er habe alles gelesen, was ihm vom Dichter in die Hände gefallen sei. Angefangen habe die direkte Auseinandersetzung, die Transformation mit Rilkes kürzesten französischsprachigen Zyklus «Les Fenêtres». Er «schleuste» die Gedichte via Computer durch alle Sprachen, mit denen sich Rilke auseinandersetzte, ganz am Schluss ins Deutsche, um dann darauf wiederum dichterisch zu reagieren, neue Bilder, neue Zusammenhänge entstehen zu lassen.
Rolf Hermann erklärt dies eindrücklich an einem Beispiel:

Rilkes Original:

Tu me proposes, fenêtre étrange, d’attendre;

déjà presque bouge ton rideau beige.
Devrais-je, ô fenêtre, à ton invite me rendre?
Ou me défendre, fenêtre? Qui attendrais-je?

Ne suis-je intact, avec cette vie qui écoute,
avec ce cœur tout plein que la perte complète
Avec cette route qui passe devant, et le doute
que tu puisses donner ce trop dont le rêve m’arrête?


Was der Computer quer durch die Sprachen generierte:

Ich war ein spezielles Feld angeboten, hoffe ich.

Fast seine beige Vorhang destabilisieren.
Wenn die Verbindung Fenster oder gehen?!
Oder das Fenster zu schützen? Wer würde nicht erwarten?

Sie sind völlig intakt aus diesem Leben gehört zu werden,
Alles vollständigen Verlust des Herzens?
Auf diese Weise und Zweifel
Es kann Ihnen aufgehört zu träumen?


Was Rolf Hermann damit machte:

hat es in ihnen aufgehört zu träumen

jenseits der aufbäumenden räume 
flirren diesseitslider 
im irisierenden takt der silberpappeln
ein verlust der grossraum-herzen

das waren-ich ist botenstoff im angebot
das illusorisch lodernd hin zum fenster geht 
und eine träne schützt 
die da nicht warten wird

Rolf Hermann durchstreift gleich mehrere Landschaften synchron, jene seiner Erinnerungen, seiner Kindheit und Jugend, jene seiner Heimat, dem tiefen Tal, den steilen Hängen und jene seines schreibenden Bildervaters Rilke, der noch immer atmosphärisch im Rhonetal wirkt. Seine Gedichte beweisen eindrücklich, wie klar und doch vielschichtig Lyrik sein kann, wie sehr einem Sprachkunst in Ekstase versetzen kann, wie leidenschaftlich Lyrik beim Schreiben und Lesen Lebenslust erzeugen kann!

Gallus Frei-Tomic, zitiert aus: https://literaturblatt.ch/rolf-hermann-in-der-nahaufnahme-verwildern-wir-der-gesunde-menschenversand/


www.vs-myculture.ch















Rolf Hermann by Dirk Skiba



UMS'nJIP by Alejandro Held







BIOGRAPHIEN



Rolf Hermann. Geboren 1973 in Leuk, Kanton Wallis, lebt als freier Schriftsteller in Biel/Bienne. Er schreibt Prosa, Lyrik, Hörspiele, Spoken-Word- und Theatertexte. Das Studium der Anglistik und Germanistik in Fribourg und Iowa, USA, verdiente er sich als Schafhirt im Simplongebiet. Neben Einzellesungen aus seinen Büchern tritt Hermann mit zwei weiteren Projekten auf: der Mundart-Combo Die Gebirgspoeten und der Spoken-Rock-Formation Trio Chäslädeli. Sein Schaffen wurde verschiedentlich ausgezeichnet, zuletzt mit dem Kulturpreis der Stadt Biel (2017) und dem Literaturpreis des Kantons Bern für den Erzählband Flüchtiges Zuhause (2019). Zahlreiche Auftritte in der Schweiz und darüber hinaus: Buchmesse Leipzig, Book Fair Vilnius (Lettland), Poetry Days der University of Southern Indiana in Evansville (USA), European Poetry Festival London, Meridian Czernowitz (Ukraine), Hausacher Leselenz (D), Literaturfestival „Erzählzeit ohne Grenzen“ in Singen (D), Literaturhaus Stuttgart, w.orte Lyrikfestival Innsbruck (Ö), Innsbrucker Prosafestival (Ö), Literaturhaus Niederösterreich, Literaturgesellschaft Wien, Internationales Literaturfestival Leukerbad, Solothurner Literaturtage, Literarischer Herbst Gstaad, lauschig Winterthur, Salon du Livre Genf, Aprillen Bern, Literaturfest Bern, Internationales Lyrikfestival Basel, Literaturhaus Zürich, Literaturhaus Gottlieben, Literaturhaus Liechtenstein, Literaturhaus Zentralschweiz, Tojo Theater Bern, Le Singe Biel, Kreuzkultur Nidau, Literaare Thun, Die Literarischer Biel, Kaufleuten Zürich, Zürich liest, Buchbasel, wortlaut St. Gallen, Zentralschweizer Literaturtage auf der Rigi, Philosophicum Basel, Kleintheater Luzern, Kleine Bieler Büchermesse, Loge Luzern, Café Kairo, Mundartfestival Arosa, Kulturgarage Interlaken, Chäslager Stans, Stiftung Rilke Sierre, Zeughauskultur Brig, Matterhorn-Museum Zermatt, Schloss Leuk, Roggenzentrum Erschmatt, Burgerstube Albinen. https://rolfhermann.ch, https://de.wikipedia.org/wiki/Rolf_Hermann

UMS'nJIP are a Swiss contemporary music duo, consisting of Ulrike Mayer-Spohn (UMS) on recorders & electronics and Javier Hagen (JIP), voice & electronics. One of the most experienced and distinguished contemporary music laboratories of our times, they work as performers, composers and organizers within a global network of composers, visual artists, stage directors, researchers, universities and festivals. Their special interest in long term collaboration, with its exchange of knowledge and awareness, brings context to new creations and results in an outstanding increase of artistic content. In this manner, UMS 'n JIP explore new settings for voice, recorders and electronics, ranging from live to digital performance in concert, scenic or installative formats and often integrate European as well as non-European music. UMS `n JIP have been invited to perform at prestigious contemporary music festivals around the world including Zürich, Lucerne, Donaueschingen, Stuttgart, Berlin, Paris, Barcelona, Athens, Istanbul, Moscow, Shanghai, Hong Kong, Seoul, Tokyo, Buenos Aires, and New York. They have premiered hundreds of works, collaborating with both world famous and aspiring young composers such as Heiner Goebbels, Wolfgang Rihm, Mauricio Kagel, Jennifer Walshe, Wolfgang Mitterer, Erik Oña, Luis Codera Puzo, Chikashi Miyama, Huang Ruo and Guo Wenjing. They can look back on more than 1200 concerts since their debut in 2007 and are one of the most active contemporary music ensembles worldwide, bringing both young and established works not only to famous venues but also to audiences who do not have easy access to live performances of top quality contemporary music. Both individually and as a duo UMS and JIP have received numerous commissions and awards and have been invited to share their knowledge in renowned universities in Europe, America and Asia. JIP is also the director of the Swiss Contemporary Music Festival Forum Wallis and the current president of ISCM Switzerland, as well as a board member of the European Conference of Promoters of New Music ECPNM (2014-18), the Swiss Music Edition, and of the UNESCO Commission for the Inventory of Intangible Cultural Heritage in the Canton of Valais (2009-18). Since 2013 UMS has been pioneering two new research projects: Recorder Map and Recorderology, and the duo has been invited to act as experts in the European Union's FP7 i-Treasures project. https://de.wikipedia.org/wiki/UMS_’n_JIP








rehearsing with Rolf Hermann and Alejandro Hagen, MEbU (Münster Earport by UMS'nJIP), Münster/Goms/Switzerland