__ entwendete fenster
PROGRAMM
entwendete fenster
Liederzyklus
für Stimme, Blockflöten
und Live-Elektronik (Audio & Video), 2024
Text nach dem gleichnamigen Gedichtzyklus von Rolf Hermann
aus dem Gedichtband In der Nahaufnahme verwildern wir
Dauer: ca. 65m
IDEE
Eine musikalische Interpretation einer literarischen Anverwandlung Rilke ́scher Gedichte
entwendete fenster ist, nach im störgarten (2022) und neophyten (2023), der dritte Zyklus aus Rolf Hermanns Gedichtband In der Nahaufnahme verwildern wir (2021), den UMS'nJIP vertonen. Blass-bläulich leuchten Hermanns Verse, inspiriert von Rilkes „Fenetres“, im Schimmer des Monitors, der bei ihm das Fenster in die Welt ist; in UMS’nJIP’s Musik verdichten sie sich von schwebenden Nebelfäden zu pumpenden Beats: "take-off ins unsichtbar periphere". Komplexe Ableitungen und formale Spiele, kombiniert mit ästhetischen Reverenzen an die isorhythmischen Motetten und Rondeaus des 14. Jahrhunderts, eingepackt in kammermusikalische Technobeats (muss das ein Widerspruch sein?), das Ganze auf mikrotonalen Leitern aufgebaut und in historischer Stimmung (a=430Hz)... UMS'nJIP laufen zur Hochform auf!
In der Nahaufnahme verwildern wir
Ein rauschhaftes, urbanes Langgedicht, in
dem die Ampeln sinnentleert blinken und die
Zufallsbegegnung mit einem Tier die Hoffnung auf eine
Verschmelzung von Mensch und Natur nährt. Ein
Bildschirm, der glimmt, ein Fenster, das aufpoppt – und
die Zeilen werden zu einem Eintrittsort, zu einer
Schnittstelle zwischen Virtualität und unmittelbarer
Erfahrung. Anderswo schleudern Neophyten ihre
Samenkugeln durch die Luft und breiten sich rasend
schnell aus: ein brasilianisches Tausendblatt, ein
Götterbaum, ein Schmetterlingsstrauch. Und schliesslich
ein Gang durch einen längst verschwundenen Obstgarten,
in dem selbst die Luftpartikel träge geworden sind ob
ihres uralten Gewichts. Ausgehend von vier Zyklen, die
Rainer Maria Rilke am Ende seines Lebens im Château
Muzot im Wallis auf Französisch geschrieben hat, zoomt
Rolf Hermann mit seinen neuen Gedichten mitten hinein in
unsere Lebenswelt mit ihren globalen Verflechtungen,
ihren Hotspots und Flächenbränden, ihren
Erschöpfungszuständen. Lustvoll und zärtlich,
formbewusst und unverwechselbar im Ton.
Der gesunde
Menschenversand, zitiert aus:
https://www.viceversaliteratur.ch/book/22824
Im Gedichtband In der Nahaufnahme verwildern wir
verbinet Rolf Hermann rhythmisch bewegliche
Gedankenlyrik mit einem hermetischem Gestus. In den
Jahren 1924-1926 dichtete Rainer Maria Rilke auf
Schloss Muzot oberhalb von Sierre vier Gedichtzyklen,
für die er sich eine fremde Sprache lieh: die
französische. Diese «Quatrains Valaisans» besingen
Natur und Landschaft, in der sich Rilke für seine
letzten Lebensjahre niedergelassen hatte. Diese
Landschaft kennt und liebt auch Rolf Hermann, der in
Leuk unweit von Rilkes Domizil aufgewachsen ist. In
seinem Gedichtband In der Nahaufnahme verwildern wir
nimmt er diese topographische Nähe auf, indem er
Rilkes Zyklen aus gegenwärtiger Optik überschreibt und
variiert. Die weite Landschaft setzt den Rahmen. Im
ersten Kapitel «im störgarten» hält sich das lyrische
Ich an ein Rilke-Motto aus den Orpheus-Sonetten: «Zu
dem raschen Wasser sprich: Ich bin.» Doch die Rhone
hat sich längst verändert: sie ist begradigt,
versiegelt, intensiviert, «ein immenses
spiegelkabinett der rentabilität» und Abbild der
ganzen Landschaft geworden. Das Ich wird es mit
mulmigen Gefühlen gewahr. Immerhin die Vögel, «diese
erben der engel / sie gehörten uns nie». Diesem ersten
Kapitel antwortet – nicht minder finster – das letzte
mit der Überschrift «eins»: ein staunender Gang aus
dem Haus hinaus in den Tag und quer durch eine
nebelverhangene Stadt, Biel, in Begleitung eines
freundlichen Marders, der ihn in den steil aufragenden
Wald, in die Verwilderung führt. Sich die wunden Augen
reibend versucht das Ich die düstern Dinge klar zu
sehen, die funktionalen Oberflächen aufzurauen. Die
beiden Kapitel ähneln sich im lyrisch wendigen
Parlando, im inneren Gedankenflug, mit dem das
erschrockene Ich das (t)raumzeitliche Kontinuum
durchquert und Verlust und Wandel festhält. Gibt es
Rettung auf solchen «chemins qui ne mènent nulle
part», oder wäre derlei blosse Schimäre? Im Zentrum
des Bandes formieren sich, adäquat zu Rilke, zwei
Kapitel, in denen dessen Motive aufgenommen und
vergegenwärtigt werden. In «entwendete fenster»
leuchten die Zeilen blass-bläulich im Schimmer des
Monitors, der das Fenster in die Welt ist: «take-off /
ins unsichtbar periphere». Unvermittelt umschliesst
der Rahmen eine Wirklichkeit, in der das Ich zum
enormen «waren-ich» als «botenstoff im angebot»
mutiert. In kurzen Zwei- bis Vierzeilern variiert Rolf
Hermann, wie Rilkes Zyklus «Les fenêtres» ent- und
umgewendet wird, wie die Erinnerung verblasst, eine
neue Welt im Dämmer des Monitors sichtbar wird.
Sprachlich am wildesten, geradezu vegetativ
berauschend, fällt das Kapitel «neophyten» aus, mit
dem Hermann auf Rilkes «Les Roses» antwortet.
Neophyten wie das «drüsige springkraut» oder «der
kirschlorbeer» mögen nicht so geschmäcklerisch schön
wirken wie eine Zuchtrose, dafür zeichnen sie sich
durch Vitalität und Zähheit aus. Die Sprache lässt
sich von dieser Vitalität anstecken und beginnt zu
verwildern, sie samt Silben ab und formt sie zu neuen
Worten, findet sich zu Bildern, die neophyt und
ungewohnt, vital und frisch sind. Die Nahaufnahme, der
konzentrierte Blick stellt auf die glatte Oberfläche
scharf und nimmt so erst deren raue Struktur wahr.
Beat Mazenauer, zitiert aus:
https://www.viceversaliteratur.ch/book/22824
Rolf Hermann liess sich von den Gedichtzyklen Rainer
Maria Rilkes beeinflussen, die dieser im Wallis in
seinen letzten Lebens- und Schaffensjahren von 1924
bis 1926 in französischer Sprache schrieb. Er habe
alles gelesen, was ihm vom Dichter in die Hände
gefallen sei. Angefangen habe die direkte
Auseinandersetzung, die Transformation mit Rilkes
kürzesten französischsprachigen Zyklus «Les Fenêtres».
Er «schleuste» die Gedichte via Computer durch alle
Sprachen, mit denen sich Rilke auseinandersetzte, ganz
am Schluss ins Deutsche, um dann darauf wiederum
dichterisch zu reagieren, neue Bilder, neue
Zusammenhänge entstehen zu lassen. Rolf Hermann erklärt dies eindrücklich an
einem Beispiel:
Rilkes Original:
Tu me proposes, fenêtre étrange, d’attendre;déjà presque bouge ton rideau beige.
Devrais-je, ô fenêtre, à ton invite me rendre?
Ou me défendre, fenêtre? Qui attendrais-je?
Ne suis-je intact, avec cette vie
qui écoute,
avec ce cœur tout plein que la perte complète
Avec cette route qui passe devant, et le doute
que tu puisses donner ce trop dont le rêve m’arrête?
Was der Computer quer durch die Sprachen generierte:
Fast seine beige Vorhang
destabilisieren.
Wenn die Verbindung Fenster oder gehen?!
Oder das Fenster zu schützen? Wer würde nicht
erwarten?
Sie sind völlig intakt aus diesem
Leben gehört zu werden,
Alles vollständigen Verlust des Herzens?
Auf diese Weise und Zweifel
Es kann Ihnen aufgehört zu träumen?
Was Rolf Hermann damit machte:
jenseits der aufbäumenden
räume
flirren diesseitslider
im irisierenden takt der silberpappeln
ein verlust der grossraum-herzen
das waren-ich ist botenstoff im
angebot
das illusorisch lodernd hin zum fenster geht
und eine träne schützt
die da nicht warten wird
Rolf Hermann durchstreift gleich
mehrere Landschaften synchron, jene seiner
Erinnerungen, seiner Kindheit und Jugend, jene seiner
Heimat, dem tiefen Tal, den steilen Hängen und jene
seines schreibenden Bildervaters Rilke, der noch immer
atmosphärisch im Rhonetal wirkt. Seine Gedichte
beweisen eindrücklich, wie klar und doch vielschichtig
Lyrik sein kann, wie sehr einem Sprachkunst in Ekstase
versetzen kann, wie leidenschaftlich Lyrik beim
Schreiben und Lesen Lebenslust erzeugen kann!
Gallus Frei-Tomic, zitiert aus:
https://literaturblatt.ch/rolf-hermann-in-der-nahaufnahme-verwildern-wir-der-gesunde-menschenversand/
entwendete fenster (full performance, live recording, Garage Wetzikon, 5/2025)
entwendete fenster (full performance, live recording, Kunstraum Walcheturm Zürich, WP, 5/2025)
entwendete fenster (full performance, live recording, PROGR Bern, 5/2025)
entwendete fenster (full performance, live recording, Freibad Basel, 5/2025)
entwendete fenster (full performance, live recording, MEbU Münster, 5/2025)
BIOGRAPHIEN

Rolf Hermann by Dirk Skiba
Rolf Hermann. Geboren 1973 in Leuk, Kanton Wallis, lebt als freier Schriftsteller in Biel/Bienne. Er schreibt Prosa, Lyrik, Hörspiele, Spoken-Word- und Theatertexte. Das Studium der Anglistik und Germanistik in Fribourg und Iowa, USA, verdiente er sich als Schafhirt im Simplongebiet. Neben Einzellesungen aus seinen Büchern tritt Hermann mit zwei weiteren Projekten auf: der Mundart-Combo Die Gebirgspoeten und der Spoken-Rock-Formation Trio Chäslädeli. Sein Schaffen wurde verschiedentlich ausgezeichnet, zuletzt mit dem Kulturpreis der Stadt Biel (2017) und dem Literaturpreis des Kantons Bern für den Erzählband Flüchtiges Zuhause (2019). Zahlreiche Auftritte in der Schweiz und darüber hinaus: Buchmesse Leipzig, Book Fair Vilnius (Lettland), Poetry Days der University of Southern Indiana in Evansville (USA), European Poetry Festival London, Meridian Czernowitz (Ukraine), Hausacher Leselenz (D), Literaturfestival „Erzählzeit ohne Grenzen“ in Singen (D), Literaturhaus Stuttgart, w.orte Lyrikfestival Innsbruck (Ö), Innsbrucker Prosafestival (Ö), Literaturhaus Niederösterreich, Literaturgesellschaft Wien, Internationales Literaturfestival Leukerbad, Solothurner Literaturtage, Literarischer Herbst Gstaad, lauschig Winterthur, Salon du Livre Genf, Aprillen Bern, Literaturfest Bern, Internationales Lyrikfestival Basel, Literaturhaus Zürich, Literaturhaus Gottlieben, Literaturhaus Liechtenstein, Literaturhaus Zentralschweiz, Tojo Theater Bern, Le Singe Biel, Kreuzkultur Nidau, Literaare Thun, Die Literarischer Biel, Kaufleuten Zürich, Zürich liest, Buchbasel, wortlaut St. Gallen, Zentralschweizer Literaturtage auf der Rigi, Philosophicum Basel, Kleintheater Luzern, Kleine Bieler Büchermesse, Loge Luzern, Café Kairo, Mundartfestival Arosa, Kulturgarage Interlaken, Chäslager Stans, Stiftung Rilke Sierre, Zeughauskultur Brig, Matterhorn-Museum Zermatt, Schloss Leuk, Roggenzentrum Erschmatt, Burgerstube Albinen. https://rolfhermann.ch, https://de.wikipedia.org/wiki/Rolf_Hermann

UMS'nJIP by Alejandro Held
UMS'nJIP
are a Swiss contemporary music duo, consisting of Ulrike
Mayer-Spohn (UMS) on recorders & electronics and
Javier Hagen (JIP), voice & electronics. One of the
most experienced and distinguished contemporary music
laboratories of our times, they work as performers,
composers and organizers within a global network of
composers, visual artists, stage directors, researchers,
universities and festivals. Their special interest in
long term collaboration, with its exchange of knowledge
and awareness, brings context to new creations and
results in an outstanding increase of artistic content.
In this manner, UMS 'n JIP explore new settings for
voice, recorders and electronics, ranging from live to
digital performance in concert, scenic or installative
formats and often integrate European as well as
non-European music. UMS'nJIP have been invited to
perform at prestigious contemporary music festivals
around the world including Zürich, Lucerne,
Donaueschingen, Stuttgart, Berlin, Paris, Barcelona,
Athens, Istanbul, Moscow, Shanghai, Hong Kong, Seoul,
Tokyo, Buenos Aires, and New York. They have premiered hundreds of
works, collaborating with both world famous and
aspiring young composers such as Heiner Goebbels,
Wolfgang Rihm, Mauricio Kagel, Jennifer Walshe, Wolfgang
Mitterer, Erik Oña, Luis Codera Puzo, Chikashi Miyama,
Huang Ruo and Guo Wenjing. They can look back on more
than 1500 concerts since their debut in 2007 and
are one of the most active contemporary music ensembles
worldwide, bringing both young and established works not
only to famous venues but also to audiences who do not
have easy access to live performances of top quality
contemporary music. Both individually and as a duo UMS
and JIP have received numerous commissions
and awards and have been invited to
share their knowledge in renowned universities in
Europe, America and Asia. JIP is also the director of
the Swiss Contemporary Music Festival Forum Wallis and the
current president of ISCM Switzerland,
as well as a board member of the European Conference of
Promoters of New Music ECPNM (2014-18), the Swiss Music
Edition, and of the UNESCO
Commission for the Inventory of Intangible Cultural
Heritage in the Canton of Valais (2009-18). Since
2013 UMS has been pioneering two new research projects:
Recorder Map and Recorderology,
and the duo has been invited to act as experts in the
European Union's FP7 i-Treasures project.
https://de.wikipedia.org/wiki/UMS_’n_JIP
PHOTOS


rehearsing with Rolf Hermann and Alejandro Hagen, MEbU (Münster Earport by UMS'nJIP), Münster/Goms/Switzerland











entwendete fenster, WP & Swiss Tour, 5/2025