Rumpelstilzchen (Gebrüder
Grimm). Es
war einmal ein Müller, der war arm, aber er
hatte eine schöne Tochter. Nun traf es sich,
dass er mit dem König zu sprechen kam, und um
sich ein Ansehen zu geben, sagte er zu ihm: "Ich
habe eine Tochter, die kann Stroh zu Gold
spinnen." Der König sprach zum Müller: "Das ist
eine Kunst, die mir wohl gefällt, wenn deine
Tochter so geschickt ist, wie du sagst, so bring
sie morgen in mein Schloss, da will ich sie auf
die Probe stellen." Als nun das Mädchen zu ihm
gebracht ward, führte er es in eine Kammer, die
ganz voll Stroh lag, gab ihr Rad und Haspel und
sprach: "Jetzt mache dich an die Arbeit, und
wenn du diese Nacht durch bis morgen früh dieses
Stroh nicht zu Gold versponnen hast, so musst du
sterben." Da ging auf einmal die Türe auf, und
trat ein kleines Männchen herein und sprach:
"Guten Abend, Jungfer Müllerin, warum weint Sie
so sehr?""Ach", antwortete das Mädchen, "ich
soll Stroh zu Gold spinnen und verstehe das
nicht." Sprach das Männchen: "Was gibst du mir,
wenn ich dirs spinne?" "Mein Halsband", sagte
das Mädchen. Das Männchen nahm das Halsband,
setzte sich vor das Rädchen, und schnurr,
schnurr, schnurr, dreimal gezogen, war die Spule
voll: und so gings fort bis zum Morgen, da war
alles Stroh versponnen, und alle Spulen waren
voll Gold. Bei Sonnenaufgang kam schon der
König, und als er das Gold erblickte, erstaunte
er und freute sich, aber sein Herz ward nur noch
geldgieriger. Er liess die Müllerstochter in
eine andere Kammer voll Stroh bringen, die noch
viel grösser war, und befahl ihr, das auch in
einer Nacht zu spinnen, wenn ihr das Leben lieb
wäre. Das Mädchen wusste sich nicht zu helfen
und weinte, da ging abermals die Türe auf, und
das kleine Männchen erschien und sprach: "Was
gibst du mir, wenn ich dir das Stroh zu Gold
spinne?" "Meinen Ring von dem Finger",
antwortete das Mädchen. Das Männchen nahm den
Ring, fing wieder an zu schnurren mit dem Rade
und hatte bis zum Morgen alles Stroh zu
glänzendem Gold gesponnen. Der König aber liess
die Müllerstochter in eine noch grössere Kammer
voll Stroh bringen und sprach: "Die musst du
noch in dieser Nacht verspinnen: gelingt dir’s
aber, so sollst du meine Gemahlin werden." Als
das Mädchen allein war, kam das Männlein zum
drittenmal wieder und sprach: "Was gibst du mir,
wenn ich dir noch diesmal das Stroh spinne?"
"Ich habe nichts mehr, das ich geben könnte",
antwortete das Mädchen. "So versprich mir, wenn
du Königin wirst, dein erstes Kind." Und als am
Morgen der König kam und alles fand, wie er
gewünscht hatte, so hielt er Hochzeit mit ihr.
Über ein Jahr brachte sie ein schönes Kind zur
Welt und dachte gar nicht mehr an das Männchen:
da trat es plötzlich in ihre Kammer und sprach:
"Nun gib mir, was du versprochen hast." Die
Königin erschrak und bot dem Männchen alle
Reichtümer des Königreichs an, wenn es ihr das
Kind lassen wollte: aber das Männchen sprach:
"Nein, etwas Lebendes ist mir lieber als alle
Schätze der Welt." Da fing die Königin so an zu
jammern und zu weinen, dass das Männchen
Mitleiden mit ihr hatte: "Drei Tage will ich dir
Zeit lassen", sprach er, "wenn du bis dahin
meinen Namen weisst, so sollst du dein Kind
behalten." Nun besann sich die Königin die ganze
Nacht über auf alle Namen, die sie jemals gehört
hatte, und schickte einen Boten über Land, der
sollte sich erkundigen weit und breit, was es
sonst noch für Namen gäbe. Als am andern Tag das
Männchen kam, fing sie an mit Kaspar, Melchior,
Balzer, und sagte alle Namen, die sie wusste,
nach der Reihe her, aber bei jedem sprach das
Männlein: "So heiss ich nicht." Den zweiten Tag
liess sie in der Nachbarschaft herumfragen, wie
die Leute da genannt würden, und sagte dem
Männlein die ungewöhnlichsten und seltsamsten
Namen vor "Heisst du vielleicht Rippenbiest oder
Hammelswade oder Schnürbein?" Aber es antwortete
immer: "So heiss ich nicht." Den dritten Tag kam
der Bote wieder zurück und erzählte: "Neue Namen
habe ich keinen einzigen finden können, aber wie
ich an einen hohen Berg um die Waldecke kam, wo
Fuchs und Has sich gute Nacht sagen, so sah ich
da ein kleines Haus, und vor dem Haus brannte
ein Feuer, und um das Feuer sprang ein gar zu
lächerliches Männchen, hüpfte auf einem Bein und
schrie: "Heute back ich, Morgen brau ich,
Übermorgen hol ich der Königin ihr Kind; Ach,
wie gut ist, dass niemand weiss, dass ich
Rumpelstilzchen heiss!" Da könnt ihr denken, wie
die Königin froh war, als sie den Namen hörte,
und als bald hernach das Männlein hereintrat und
fragte: "Nun, Frau Königin, wie heiss ich?"
fragte sie erst: "Heissest du Kunz?" "Nein."
"Heissest du Heinz?" "Nein." "Heisst du etwa
Rumpelstilzchen?" "Das hat dir der Teufel
gesagt, das hat dir der Teufel gesagt", schrie
das Männlein und stiess mit dem rechten Fuss vor
Zorn so tief in die Erde, dass es bis an den
Leib hineinfuhr, dann packte es in seiner Wut
den linken Fuss mit beiden Händen und riss sich
selbst mitten entzwei.
Schneewittchen
(Gebrüder Grimm, Auszüge). Es war einmal mitten im Winter, und
die Schneeflocken fielen wie Federn vom Himmel
herab, da saß eine Königin an einem Fenster, das
einen Rahmen von schwarzem Ebenholz hatte, und
nähte. Und wie sie so nähte und nach dem Schnee
aufblickte, stach sie sich mit der Nadel in den
Finger, und es fielen drei Tropfen Blut in den
Schnee. Und weil das Rote im weißen Schnee so
schön aussah, dachte sie bei sich 'hätt ich ein
Kind so weiß wie Schnee, so rot wie Blut, und so
schwarz wie das Holz an dem Rahmen.' Bald darauf
bekam sie ein Töchterlein, das war so weiß wie
Schnee, so rot wie Blut, und so schwarzhaarig
wie Ebenholz, und ward darum das Schneewittchen
genannt. Die Königin war eine schöne Frau, aber
sie war stolz und konnte nicht leiden, daß sie
an Schönheit von jemand sollte übertroffen
werden. Sie hatte einen wunderbaren Spiegel,
wenn sie vor den trat und sich darin beschaute,
sprach sie 'Spieglein, Spieglein an der Wand,
wer ist die Schönste im ganzen Land?' so
antwortete der Spiegel 'Frau Königin, Ihr seid
die Schönste im Land.' (…)
'Wer hat auf meinem Stühlchen gesessen?' 'Wer
hat von meinem Tellerchen gegessen?' 'Wer hat
von meinem Brötchen genommen?' 'Wer hat von
meinem Gemüschen gegessen?' 'Wer hat mit meinem
Gäbelchen gestochen?' 'Wer hat mit meinem
Messerchen geschnitten?' 'Wer hat aus meinem
Becherlein getrunken?' 'Wer hat in mein Bettchen
getreten?' (…) Als die Zwerge
abends nach Haus kamen, fanden sie
Schneewittchen auf der Erde liegen, und es ging
kein Atem mehr aus seinem Mund, und es war tot.
Sie hoben es auf, suchten, ob sie was Giftiges
fänden, schnürten es auf, kämmten ihm die Haare,
wuschen es mit Wasser und Wein, aber es half
alles nichts; das liebe Kind war tot und blieb
tot. Sie legten es auf eine Bahre und setzten
sich alle siebene daran und beweinten es, und
weinten drei Tage lang. Da wollten sie es
begraben, aber es sah noch so frisch aus wie ein
lebender Mensch, und hatte noch seine schönen
roten Backen, und sie ließen einen
durchsichtigen Sarg von Glas machen, daß man es
von allen Seiten sehen konnte, legten es hinein,
und schrieben mit goldenen Buchstaben seinen
Namen darauf, und daß es eine Königstochter
wäre. Es geschah aber, daß ein Königssohn in den
Wald geriet und zu dem Zwergenhaus kam, da zu
über nachten. Er sah auf dem Berg den Sarg und
das schöne Schneewittchen darin, und las, was
mit goldenen Buchstaben darauf geschrieben war.
Da sprach er zu den Zwergen 'laßt mir den Sarg,
ich will euch geben, was ihr dafür haben wollt.'
Aber die Zwerge antworteten 'wir geben ihn nicht
um alles Gold in der Welt.' Da sprach er 'so
schenkt mir ihn, denn ich kann nicht leben, ohne
Schneewittchen zu sehen, ich will es ehren und
hochachten wie mein Liebstes.' Wie er so sprach,
empfanden die guten Zwerglein Mitleiden mit ihm
und gaben ihm den Sarg. Der Königssohn ließ ihn
nun von seinen Dienern auf den Schultern
forttragen. Da geschah es, daß sie über einen
Strauch stolperten, und von dem Schüttern fuhr
der giftige Apfelgrütz, den Schneewittchen
abgebissen hatte, aus dem Hals. Und nicht lange,
so öffnete es die Augen, hob den Deckel vom Sarg
in die Höhe, und richtete sich auf, und war
wieder lebendig. Da ging Schneewittchen mit ihm,
und ihre Hochzeit ward mit großer Pracht und
Herrlichkeit angeordnet. Zu dem Fest wurde aber
auch Schneewittchens gottlose Mutter eingeladen.
Wie sie sich nun mit schönen Kleidern angetan
hatte, trat sie vor den Spiegel, und der Spiegel
sprach 'Frau Königin' Ihr seid die Schönste
hier, aber die junge Königin ist tausendmal
schöner als Ihr.'
Knoist und seine drei Söhne (Gebrüder
Grimm). Zwischen Werrel und Soest,
da wohnte ein Mann, und der hiess Knoist; der
hatte drei Söhne: der eine war blind, der andere
war lahm, der dritte war splitternackt. Da
gingen sie einmal übers Feld, da sahen sie einen
Hasen. Der Blinde schoss auf ihn, der Lahme fing
ihn und der Splitternackte, der steckte ihn in
die Tasche. Da kamen sie zu einem grossen,
allmächtigen Wasser, da waren drei Schiffe
darauf: das eine rann, das andere sank und das
dritte hatte keinen Boden. Und worin kein Boden
war, in dieses Schiff gingen sie alle drei
hinein. Dann kamen sie an einen allmächtig
grossen Wald; darin war ein grosser,
allmächtiger Baum, in dem Baum war eine
allmächtig grosse Kapelle, in der Kapelle war
ein hagebuchener Küster und ein buchsbaumener
Pastor, die teilten das Weihwasser mit Knüppeln
aus. Selig ist der Mann, Der dem Weihwasser
entlaufen kann.
Die drei Schweinchen
Es war einmal eine alte Schweinemutter, die
hatte drei kleine Schweinchen, die aßen und
aßen, soviel sie nur konnten. Und als sie so
groß waren, daß sie in dem Haus, in dem sie
wohnten, keinen Platz mehr finden konnten, sagte
die Mutter zu ihnen: ,,Ihr könnt jetzt nicht
mehr bei mir bleiben, jedes muß ein Haus für
sich selber haben." Und sie schickte sie in die
weite Welt hinaus. Das erste Schweinchen
begegnet einem Mann mit einem Bund Stroh. Es
sagt zu ihm: ,,Bitte, lieber Mann, gib mir das
Stroh, ich will mir ein Haus daraus bauen. " Da
sagt der Mann: ,,Gib mir erst von deinen
Borsten, ich will mir eine Bürste daraus
machen." Nun gibt ihm das Schweinchen von seinen
Borsten, der Mann gibt ihm das Stroh und hilft
ihm das Haus aufbauen. Vorne hat das Haus eine
große Tür und hinten eine kleine Tür. Dann
schaut das Schweinchen sein Strohhaus an und
singt:
,,Ich hab' ein schönes Haus von Stroh,
ich bin so sicher und so froh.
Und kommt der böse Wolf vorbei,
dann lache ich, hihi, heiheil"
Das zweite Schweinchen begegnet einem Mann mit
einem Bund Holz. Es sagt zu ihm: ,,Bitte, lieber
Mann, gib mir das Holz, ich will mir ein Haus
daraus bauen." Der Mann aber sagt: ,,Gib mir
erst von deinen Borsten, ich will mir eine
Bürste daraus machen."
Nun gibt ihm das Schweinchen von seinen
Borsten,der Mann gibt ihm das Holz und hilft ihm
das Haus aufbauen.
Vorne hat das Haus eine große Tür und hinten
eine kleine Tür. Dann schaut das Schweinchen
sein Holzhaus an und singt:
,,Ich hab' ein schönes Haus von Holz,
ich bin so sicher und so stolz.
Und kommt der böse Wolf vorbei,
dann lache ich, hihi, heihei!"
Das dritte Schweinchen begegnet einem Mann, der
zieht einen Karren voll Ziegelsteine. Es sagt zu
ihm: ,,Bitte, lieber Mann, gib mir von den
Ziegelsteinen, ich will mir ein Haus daraus
bauen." Der Mann aber sagt: "Gib mir erst von
deinen Borsten, ich will mir eine Bürste daraus
machen." Das Schweinchen gibt ihm, soviel er
davon haben will, und der Mann gibt ihm die
Ziegelsteine und hilft ihm das Haus aufbauen.
Vorne hat das Haus eine große Tür und hinten
eine kleine Tür. Dann schaut das Schweinchen
sein Ziegelhaus an und singt:
,,Ich hab' ein schönes Haus von Stein,
es ist so sicher und so fein.
Und kommt der böse Wolf vorbei,
dann lache ich, hihi, heiheil"
So lebt nun jedes Schweinchen in seinem eigenen
kleinen Haus, und jedes ist glücklich und
zufrieden. Da kommt eines Tages der Wolf aus dem
Wald, klopft an die große Tür des kleinen
Strohhauses und ruft: ,,Liebes, gutes kleines
Schwein, laß mich doch zu dir hinein." Das
Schweinchen aber antwortet:
,,Bin ganz allein,
bin ganz allein,
ich laß dich nicht ins Haus herein."
Da sagt der Wolf:
,,lch werde strampeln und trampeln,
ich werde husten und prusten
und dir dein Haus zusammenpusten."
Und der Wolf strampelt und trampelt, er hustet
und prustet und pustet das ganze Haus zusammen.
Aber das kleine Schweinchen ist nicht mehr da.
Es ist hinten durch die kleine Tör zum zweiten
Schweinchen ins Holzhaus gelaufen. Da geht der
Wolf zum Holzhaus, klopft vorn an die große Tör
und ruft:
,,Liebes, gutes kleines Schwein,
laß mich doch zu dir hinein."
Das zweite Schweinchen aber antwortet:
,,Bin ganz allein, bin ganz allein,
ich laß dich nicht ins Haus herein."
Da sagt der Wolf:
"Ich werde strampeln und trampeln,
ich werde husten und prusten
und dir dein Haus zusammenpusten."
Und der Wolf strampelt und trampelt, er hustet
und prustet und pustet das ganze Haus zusammen.
Aber die zwei kleinen Schweinchen sind nicht
mehr da, sie sind hinten durch die kleine Tür
zum dritten Schweinchen ins Ziegelhaus gelaufen.
Da geht der Wolf zum Ziegelhaus, klopft vorn an
die große Tür und ruft:
,,Liebes, gutes kleines Schwein,
laß mich doch zu dir hinein."
Das dritte Schweinchen aber antwortet:
,,Bin ganz allein, bin ganz allein,
ich laß dich nicht ins Haus herein."
Da sagt der Wolf:
,,Ich werde strampeln und trampeln,
ich werde husten und prusten
und dir dein Haus zusammenpusten."
Und der Wolf strampelt und trampelt, er hustet
und prustet, aber er kann das Haus nicht
zusammenpusten. Da wird er schrecklich zornig
und brüllt: ,,Wart nur, gleich hab' ich dichl"
und macht sich daran, durch den Kamin ins Haus
zu klettern. Als die drei Schweinchen merken,
was der Wolf im Sinne hat, sagt das erste
Schweinchen:
,,Was sollen wir tun?"
Das zweite Schweinchen:
,,Ich will ein großes Feuer im Kamin anmachen."
Und das dritte Schweinchen:
,,Ich will einen großen Topf mit Wasser in den
Kamin hängen."
Das tun sie auch.
Nicht lange danach - das Feuer prasselt schon
lustig und das Wasser ist gerade am Sieden -, da
kommt der Wolf den Kamin herunter, und platschl
plumpst er mitten ins heiße Wasser hinein, und
schnell geben die Schweinchen noch einen Deckel
darauf. Dann tanzen sie vor Freude um den Kamin
herum und singen:
,,Der Wolf ist tot,
der Wolf ist tot,
ein Ende hat die große Not."
Dann baute sich das erste Schweinchen ein
Ziegelhaus und das zweite auch, und fortan
lebten alle drei zufrieden und froh.
Die alte Bettelfrau
(Gebrüder Grimm) Es war einmal eine alte Frau, du
hast wohl ehe eine alte Frau sehn betteln gehn?
diese Frau bettelte auch, und wann sie etwas
bekam, dann sagte sie 'Gott lohn Euch.' Die
Bettelfrau kam an die Tür, da stand ein
freundlicher Schelm von Jungen am Feuer und
wärmte sich. Der Junge sagte freundlich zu der
armen alten Frau, wie sie so an der Tür stand
und zitterte 'kommt, Altmutter, und erwärmt
Euch.' Sie kam herzu, ging aber zu nahe ans
Feuer stehn, dass ihre alten Lumpen anfingen zu
brennen, und sie wards nicht gewahr. Der Junge
stand und sah das, er hätts doch löschen sollen?
Nicht wahr, er hätte löschen sollen? Und wenn er
kein Wasser gehabt hätte, dann hätte er alles
Wasser in seinem Leibe zu den Augen herausweinen
sollen, das hätte so zwei hübsche Bächlein
gegeben zu löschen.
Der süsse Brei (Gebrüder
Grimm) Es
war einmal ein armes, frommes Mädchen, das lebte
mit seiner Mutter allein, und sie hatten nichts
mehr zu essen. Da ging das Kind hinaus in den
Wald, und begegnete ihm da eine alte Frau, die
wusste seinen Jammer schon und schenkte ihm ein
Töpfchen, zu dem sollt es sagen: "Töpfchen,
koche," so kochte es guten, süssen Hirsebrei,
und wenn es sagte: "Töpfchen, steh," so hörte es
wieder auf zu kochen. Das Mädchen brachte den
Topf seiner Mutter heim, und nun waren sie ihrer
Armut und ihres Hungers ledig und assen süssen
Brei, sooft sie wollten. Auf eine Zeit war das
Mädchen ausgegangen, da sprach die Mutter:
"Töpfchen, koche," da kocht es, und sie isst
sich satt; nun will sie, dass das Töpfchen
wieder aufhören soll, aber sie weiss das Wort
nicht. Also kocht es fort, und der Brei steigt
über den Rand hinaus und kocht immerzu, die
Küche und das ganze Haus voll und das zweite
Haus und dann die Strasse, als wollt's die ganze
Welt satt machen, und ist die grösste Not, und
kein Mensch weiss sich da zu helfen. Endlich,
wie nur noch ein einziges Haus übrig ist, da
kommt das Kind heim und spricht nur: "Töpfchen,
steh," da steht es und hört auf zu kochen, und
wer wieder in die Stadt wollte, der musste sich
durchessen.
Das kleine Mädchen mit
den Schwefelhölzern (Hans Christian Andersen,
Auszüge) Es
war fürchterlich kalt; es schneite und begann
dunkler Abend zu werden, es war der letzte Abend
im Jahre, Neujahrsabend! In dieser Kälte und in
dieser Finsternis ging ein kleines, armes
Mädchen mit bloßem Kopfe und nackten Füßen auf
der Straße. In einer alten Schürze hielt sie
eine Menge Schwefelhölzer und ein Bund trug sie
in der Hand. Niemand hatte ihr während des
ganzen Tages etwas abgekauft, niemand hatte ihr
auch nur einen Dreier geschenkt; hungrig und
halberfroren schlich sie einher und sah sehr
gedrückt aus, die arme Kleine! Die Schneeflocken
fielen in ihr langes, gelbes Haar, welches sich
schön über den Hals lockte, aber an Pracht
dachte sie freilich nicht. In einem Winkel
zwischen zwei Häusern – das eine sprang etwas
weiter in die Straße vor, als das andere – da
setzte sie sich und kauerte sich zusammen. Ihre
kleinen Hände waren vor Kälte fast ganz
erstarrt. Ach! Ein Schwefelhölzchen könnte gewiß
recht gut thun; wenn sie nur wagen dürfte, eins
aus dem Bunde herauszuziehen, es gegen die Wand
zu streichen, und die Finger daran zu wärmen.
Sie zog eins heraus, »Ritsch!« Wie sprühte es,
wie brannte es! Es gab eine warme, helle Flamme,
es war ein wunderbares Licht! (...) Und
wo der Schein desselben auf die Mauer fiel,
wurde diese durchsichtig wie ein Flor. Sie sah
gerade in das Zimmer hinein, wo der Tisch mit
einem glänzend weißen Tischtuch und mit feinem
Porzellan gedeckt stand, und herrlich dampfte
eine mit Pflaumen und Äpfeln gefüllte, gebratene
Gans darauf! Und was noch prächtiger war, die
Gans sprang von der Schüssel herab, watschelte
auf dem Fußboden hin mit Gabel und Messer im
Rücken, gerade auf das arme Mädchen kam sie zu.
Da erlosch das Schwefel-holz, und nur die dicke,
kalte Mauer war zu sehen. (…)
Sie strich wieder ein Schwefelholz gegen die
Mauer, es leuchtete ringsumher, und im Glanze
desselben stand die alte Großmutter, glänzend,
mild und lieblich da. »Großmutter!« rief die
Kleine. »O, nimm mich mit! Ich weiß, daß Du auch
gehst, wenn das Schwefelholz ausgeht; gleichwie
der warme Ofen, der schöne Gänsebraten und der
große, herrliche Weihnachtsbaum!« Sie strich
eiligst den ganzen Rest der Schwefelhölzer,
welche noch im Bunde waren, sie wollte die
Großmutter recht festhalten; und die
Schwefelhölzer leuchteten mit solchem Glanz, daß
es heller war, als am lichten Tage. Die
Großmutter war nie so schön, so groß gewesen;
sie hob das kleine Mädchen auf ihren Arm, und in
Glanz und Freude flogen sie in die Höhe, und da
fühlte sie keine Kälte, keinen Hunger, keine
Furcht – sie waren bei Gott! Aber im Winkel am
Hause saß in der kalten Morgenstunde das kleine
Mädchen mit roten Wangen, mit lächelndem Munde –
tot, erfroren am letzten Abend des alten Jahres.
Der Neujahrsmorgen ging über die kleine Leiche
auf, welche mit Schwefelhölzern da saß, wovon
ein Bund fast verbrannt war. Sie hat sich wärmen
wollen, sagte man.
MUTTERGOTTESGLÄSCHEN
(Gebrüder Grimm) Es hatte einmal ein
Fuhrmann seinen Karren, der mit Wein schwer
beladen war, festgefahren, so daß er ihn trotz
aller Mühe nicht wieder losbringen konnte. Nun
kam gerade die Mutter Gottes des Weges daher,
und als sie die Not des armen Mannes sah, sprach
sie zu ihm 'ich bin müd und durstig, gib mir ein
Glas Wein, und ich will dir deinen Wagen frei
machen.' 'Gerne,' antwortete der Fuhrmann, 'aber
ich habe kein Glas, worin ich dir den Wein geben
könnte.' Da brach die Mutter Gottes ein weißes
Blümchen mit roten Streifen ab, das Feldwinde
heißt und einem Glase sehr ähnlich sieht, und
reichte es dem Fuhrmann. Er füllte es mit Wein,
und die Mutter Gottes trank ihn, und in dem
Augenblick ward der Wagen frei und der Fuhrmann
konnte weiterfahren. Das Blümchen heißt noch
immer Muttergottesgläschen.
Die drei Faulen (Gebrüder
Grimm) Ein
König hatte drei Söhne, die waren ihm alle
gleich lieb, und er wußte nicht, welchen er zum
König nach seinem Tode bestimmen sollte. Als die
Zeit kam, daß er sterben wollte, rief er sie vor
sein Bett und sprach 'liebe Kinder, ich habe
etwas bei mir bedacht, das will ich euch
eröffnen: welcher von euch der faulste ist, der
soll nach mir König werden.' Da sprach der
älteste 'Vater, so gehört das Reich mir, denn
ich bin so faul, wenn ich liege und will
schlafen, und es fällt mir ein Tropfen in die
Augen, so mag ich sie nicht zutun, damit ich
einschlafe.' Der zweite sprach 'Vater, das Reich
gehört mir, denn ich bin so faul, wenn ich beim
Feuer sitze, mich zu wärmen, so ließ ich mir
eher die Fersen verbrennen, eh ich die Beine
zurückzöge.' Der dritte sprach 'Vater, das Reich
ist mein, denn ich bin so faul, sollt ich
aufgehängt werden, und hätte den Strick schon um
den Hals, und einer gäbe mir ein scharfes Messer
in die Hand, damit ich den Strick zerschneiden
dürfte, so ließ ich mich eher aufhenken, ehe ich
meine Hand erhübe zum Strick.' Wie der Vater das
hörte, sprach er 'du hast es am weitesten
gebracht und sollst der König sein.'
Die Wassernixe (Gebrüder
Grimm) Ein Brüderchen und ein
Schwesterchen spielten an einem Brunnen, und wie
sie so spielten, plumpten sie beide hinein. Da
war unten eine Wassernixe, die sprach 'jetzt hab
ich euch, jetzt sollt ihr mir brav arbeiten,'
und führte sie mit sich fort. Dem Mädchen gab
sie verwirrten garstigen Flachs zu spinnen, und
es mußte Wasser in ein hohles Faß schleppen, der
Junge aber sollte einen Baum mit einer stumpfen
Axt hauen; und nichts zu essen bekamen sie als
steinharte Klöße. Da wurden zuletzt die Kinder
so ungeduldig, daß sie warteten, bis eines
Sonntags die Nixe in der Kirche war, da
entflohen sie. Und als die Kirche vorbei war,
sah die Nixe daß die Vögel ausgeflogen waren,
und setzte ihnen mit großen Sprüngen nach. Die
Kinder erblickten sie aber von weitem, und das
Mädchen warf eine Bürste hinter sich, das gab
einen großen Bürstenberg, mit tausend und
tausend Stacheln, über den die Nixe mit großer
Müh klettern mußte; endlich aber kam sie doch
hinüber. Wie das die Kinder sahen, warf der
Knabe einen Kamm hinter sich, das gab einen
großen Kammberg mit tausendmal tausend Zinken,
aber die Nixe wußte sich daran fest zu halten
und kam zuletzt doch drüber. Da warf das Mädchen
einen Spiegel hinterwärts, welches einen
Spiegelberg gab, der war so glatt, so glatt, daß
sie unmöglich drüber konnte. Da dachte sie 'ich
will geschwind nach Haus gehen und meine Axt
holen und den Spiegelberg entzwei hauen.' Bis
sie aber wieder kam, und das Glas aufgehauen
hatte, waren die Kinder längst weit entflohen,
und die Wassernixe mußte sich wieder in ihren
Brunnen trollen.
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